In Armenien erwartet uns eine skurrile Mischung aus russischen und orientalischen Einflüssen und keltisch anmutenden Klöstern. Wir entdecken allerhand „Lost Places“, schöne Städtchen und unzählige Klöster. Außerdem tapern wir (mal wieder) in Fettnäpfchen, weil wir uns nicht ausreichend über die Geschichte eines Landes informiert haben. Irgendwie wollen alle ehemaligen Großreiche nicht auf die Karte passen und so lernen wir die guten Beziehungen zu unseren Nachbarländern zu schätzen.
Recht spontan entscheiden wir uns die nächsten Tage in Armenien zu verbringen. Wir sind in 10 Tagen mit der „Backseatrallye“ in Tiflis verabredet, die wir spontan über Instagram kennengelernt haben. Eine Gruppe von Deutschen und NiederländerInnen, die von Istanbul nach Tiflis trampen. Die Gruppe ist in kleinen Teams als kleines „Tramperrennen“ unterwegs. Sie halten ihre Tour filmerisch fest und erstellen eine Mini-Serie auf YouTube. Leider haben wir diese Strecke gerade hinter uns, um noch teilnehmen zu können, aber wir wollen rechtzeitig zurück in Georgien sein, um sie kennenzulernen. Da wir in Tiflis auch die ersten Visa beantragen müssen werden wir wohl ein paar Tage auf unsere Reisepässe verzichten müssen, somit wird es mit der Einreise nach Armenien danach schwierig. Und wir wollen die Gelegenheit, wenn wir hier sind gerne nutzen, um uns ein eigenes Bild von dem Land zu machen über das wir immer wieder in den Nachrichten hören. Außerdem habe ich durch den Kontakt zu einer armenischen Familie, die wir aus Deutschland kennen, einen persönlichen Bezug zum Land und ich freue mich, nun ihr Heimatland kennenzulernen. Die Familie hat uns schon mit reichlich Tipps versorgt. Im Gegenzug sollen wir Fotos von all ihren Empfehlungen schicken, da sie selbst lange nicht mehr vor Ort waren. Ein fairer Deal. Wir ziehen also Armenien zeitlich vor und werden dann wieder zurück nach Georgien kommen.
Wir starten von Batumi Richtung Südosten. Die erste Stadt, die wir in Armenien erreichen ist Gyumri. Sie wird auch die „schwarze Stadt“ genannt. Aber nicht, weil sie so düster ist, sondern weil die Gebäude überwiegend aus schwarzem Stein gebaut sind, der meistens sehr kunstvoll beschlagen wurde. Für uns wirkt die Stadt dennoch erstmal düster. Wir kommen im Dunkeln an und werden von unserer Mitfahrgelegenheit im Vorort rausgelassen. Und Vororte sind bekanntlich nicht die schönsten Ecken einer Stadt. Wir haben zwar eigentlich eine Couchsurfing Übernachtung, da wir aber so spät in der Stadt ankommen, wollen wir sie nicht so lange wachhalten, haben ihr für heute abgesagt und ein Hostel gebucht. Das Hostel ist genauso, wie wir uns ein Hostel vorstellen und das bisher beste Hostel auf unserer Tour. Betten sind in einzelne Kabinen abgetrennt, sodass jeder seine Privatsphäre hat. In jeder Kabine gibt es Steckdosen und ein kleines Licht. Es gibt richtig dicke Oberbetten und flauchige Handtücher. Die Nacht ist sehr erholsam und genau das, was wir nach diesem langen und anstrengenden Tag gebraucht haben. Am nächsten Morgen können wir in einer einladenden, sauberen und gut ausgestattet Küche unser Frühstück zubereiten. Vielleicht hört man ein bisschen, dass uns das LOFT Hostel gefallen hat.
Was davor geschah und warum wir so spät dran sind. Von Batumi haben wir uns schnell wieder verabschiedet. Es gibt zwar schöne Ecken und gute Restaurants, allerdings würden wir die Stadt eher als ein russisches Las Vegas bezeichnen. Hotelkomplexe, Casinos und Bürotürme schießen städtebaulich ungeplant aus dem Boden. Chris wirkt verzweifelt, wenn er die Stadt als Städteplaner betrachtet. Wir fahren in die Berge und folgen der Landstraße Richtung Achalziche, die uns dann weiter nach Armenien bringen soll. Ein paar Tage machen wir noch Zwischenhalt an einem Fluss. Hier gibt es eine Schutzhütte vor Unwetter mit Holzbänken, Tischen, Lagerfeuerstelle, Toilette und Strom. Ein perfekter Ort, an dem wir unser Zelt aufschlagen. Wenig weiter entsteht eine kleine Bar am Fluss. Zwei Männer hämmern und sägen die Planken für eine Terrasse zurecht. Während wir unser Zelt aufbauen und uns den Abend auf unsere Lieblingscampingnudeln freuen, haben sie sich in den Kopf gesetzt, uns ein ordentliches Abendessen zu beschaffen. Gut gemeint werden zwei ihrer am Tag gefangenen Fische geköpft. Wobei der Eine meint, die Fische verschenken zu wollen und den anderen damit beauftragt, sie auszunehmen. Der hat aber kurzerhand keine Lust weiterzumachen und der erste ist schlichtweg zu betrunken. Hilft also nichts und Chris kommt so ungewollt das erste Mal dazu, einen Fisch zu entschuppen und auszunehmen. Mit einem stumpfen Messer, auf einem Stein und in einem kleinen Bach. Die beiden Georgen fallen trunken um und ich suche schon einmal Brennholz für ein Feuer. Sonst sicher ein Abenteuer, heute ist es für uns beide einfach nervtörend.
Am nächsten Tag folgen wir der Straße. Nach kurzer Zeit endet der Straßenbelag, was uns bisher nicht stutzig werden lässt. Dann endet der Schotter und es wird löchrig erdig. Die Straße war bei Google Maps als gelbe Haupt- bzw. Landstraße eingetragen. Diese war aber scheinbar auf der Karte schneller gezogen, als in echt. Sie existiert noch gar nicht und ist erst stellenweise im Bau. Es werden Brückenpfeiler gesetzt und Hänge abgemeißelt. So wäre ein Bagger hier wohl das beste Gefährt. Wir wollen am Abend bei unserer Couchsurfing-Gastgeberin in Armenien ankommen und hatten die Entfernung in gewohnter Zeit kalkuliert. Bei wechselnden Autos mit vielleicht 10Km/h Geschwindigkeit und mit einer noch zu überquerenden Grenze ist uns allerdings schnell klar, dass wir wenn überhaupt, sehr spät am Abend ankommen werden. Die Straße wird immer holpriger und der Fahrer des kleinen LKW hat auch nach mehreren Stunden Holpertour keine Lust mehr zu fahren. Chris übernimmt. Der zuvor kernige George wechselt in den Lehrmodus. Chris fährt zwar schon seit 13 Jahren Auto, doch George gestikuliert, wie man kuppelt und schaltet. Als würde der Kleine das erste Mal am Steuer sitzen, soll Chris zuerst nur im ersten Gang fahren und lenken. Dann kuppeln und der erfahrene LKW-Fahrer schaltet für ihn. Da Chris sich nicht so schlecht macht, darf er danach auch ganz alleine fahren und George macht auf der Buckelpiste ein Stündchen die Augen zu. Mitten im nichts trennen sich dann unsere Wege. Wir stehen an einer Kreuzung, die eher an einen texanischen Comic erinnert, als an Georgien. Zwei Schotterstraßen kreuzen sich, ein paar magere Kühe laufen durchs Bild. Ein großer Wegweiser steht mitten auf der Straße, darauf eine Krähe. Der Wind wirbelt den Staub zu einem Mini Tornado auf, der sich vor einem kleinen Restaurant auflöst. Nur der Name des Restaurants passt hier irgendwie nicht her – Edelweiß. Wir warten lange bis uns jemand mitnimmt. Schließlich wird es ein Pick-Up, dessen Ladefläche wir uns mit zwei Tramper-Jungs aus Russland teilen. So kommen wir im Dunkeln auf armenischer Seite an und fallen in die oben beschriebenen Betten.
Am nächsten Abend geht es dann zu Maryan unserer Gastgeberin. Wir werden mit einem leckeren armenischen Abendessen empfangen und sitzen, obwohl wir alle wieder früh raus müssen noch lange zusammen. Maryan reist bald nach Dortmund und Amsterdam, da können wir ihr noch ein paar Tipps geben. Es ist auch mal schön etwas zurück geben zu können. Chris hat die letzten Jahre in Dortmund gearbeitet und kann mit vielen Infos helfen. Hier in dem Wohnkomplex sind wir zum ersten Mal mit einfachen Wohnverhältnissen, die nicht unseren Standards entsprechen konfrontiert. Die Wohnung ist schön, groß für zwei Personen und sehr sauber. Aber es gibt nur 6 Std. am Tag fließendes Wasser. Drei Stunden am Abend und drei Stunden am Morgen. Ehrlich gesagt hatten wir ganz naiv gedacht, als sie und das geschrieben hat, sie meint warmes Wasser. Aber sie meinte generell Wasser. Wir können uns auch nicht so recht erklären, warum das Wasser abgestellt wird. Zumal es in Armenien überall freies Trinkwasser gibt und es eines der wenigen Länder ohne Wasserknappheit ist. Wir sprechen auch über Politik im Allgemeinen und stolpern direkt in ein Fettnäpfchen. Natürlich wissen wir um die schwierigen Beziehungen zur Türkei, aber wir hätten uns wohl noch besser informieren sollen. Als Maryan immer von Ost- und Westarmenien spricht, fragt Chris, wo denn die Grenze verläuft, da das Land schließlich an sich schon recht klein ist. Wie sich herausstellt, ist Ostarmenien das heutige Armenien und Westarmenien ist ein Teil der heutigen Türkei. Das Problem ist ja nur, dass wenn jede Nation ihr ehemaliges Großreich beansprucht, es mit den Grenzen beim besten Willen nicht aufgeht. Die Türken sprechen vom großen Osmanischen Reich, die Armenier vom Großreich Armenien, die Kurden von Kurdistan. Dann haben wir in der Region noch das byzantinische Reich, später hören wir noch, dass das ja alles Mal Teil der Mongolei war. Vielleicht stellen die Italiener auch noch Ansprüche vom römischen Reich. Andere hängen noch der Sowjetunion hinter her. Damit werden wir auch noch Erfahrungen machen. Ohne irgendetwas zu bewerten, ab- oder fürzusprechen, alle Reiche passen nicht auf eine Karte.
Am Straßenrand nach Jerewan treffen wir Nara. Wir stehen neben dem Obststand ihrer Familie und sie spricht uns einfach an. Nicht nur, dass sie fließend Englisch spricht, sondern auch Deutsch. Sie ist sehr interessiert an Sprachen. Und ehrlich gesagt, waren wir überrascht, weil die meisten Menschen kein Englisch sprechen und sie im ersten Moment sehr einfach gekleidet und etwas merkwürdig hinter dem zusammengeschusterten Obststand hervorblickte. Es ist immer wieder erschreckend, wie schnell wir Menschen bewerten und in Schubladen stecken. Wir behaupten, uns schon weitgehend davon frei gemacht zu haben, dennoch passiert es uns immer wieder. Nara beeindruckt uns. Sie lädt uns zu sich ein. Aber wir sind leider ein wenig unter Zeitdruck und wollen uns nicht noch mehr Druck aufbauen. Aber sie bleibt mir in Erinnerung und ich verspreche ihr ein Buch zu schicken. Sie liest gerne und erzählt, dass es nicht so einfach ist an Englische oder gar Deutsche Bücher zu kommen. Meine Mama hat zu Hause ein Päckchen fertig gemacht und mal schauen, ob es in dem kleinen Ort auch ankommt. Ein paar Wochen später schreibt sie uns, dass sie im nächsten Jahr nach Deutschland kommt. Sie fängt eine Ausbildung zur Krankenpflegerin in Deutschland an. Wir freuen uns mit ihr und wer weiß vielleicht können wir sie dann zu uns einladen. (Das Buch hat sie bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht erreicht.)
Über das Kloster Amberd, unser erstes Kloster in Armenien, aber bestimmt nicht das letzte, fahren wir weiter in die Hauptstadt, die „pinke Stadt“. Was werden wir wohl hier vorfinden? Genau. Gebäude aus pinkem Stein. Die Stadt gefällt uns auf Anhieb. Es gibt eine große Kunst- und Kulturszene und dementsprechend viele Bars und Kneipen. Schon davor sind uns die vielen Trinkbrunnen in allen Städten, Dörfern und am Straßenrand aufgefallen. In Jerewan sind sie teilweise richtige Kunstwerke. Wir sind so oder so sehr dankbar für sie. Sie machen uns die Hitze erträglich. Zufällig stolpern wir noch in ein Bier Festival mit guter Livemusik. Ein schöner Tagesabschluss.
Dann fahren wir Richtung Sewansee natürlich nicht, ohne das Kloster Chor Virap zu besuchen, welches vor dem beeindruckenden Ararat liegt. Wir hätten uns jedoch vorher informieren sollen, denn wir lesen auf dem Weg dorthin, dass der Ausblick im Sommer am frühen Morgen oder am späten Abend am besten ist und beschließen spontan eine Nacht zu bleiben. Zu dem Zeitpunkt ahnen wir noch nicht, dass uns die Killermücken der Sonnenblumenfelder, an deren Rand wir unser Zelt aufschlagen, auch an den Rand des Wahnsinns treiben werden. Die Mückenschwärme kreisen über uns und es wird bei 30 Grad in Regenjacke mit zugezogener Kapuze gekocht. Danach essen wir im Gehen, denn stehen bleiben bedeutet gestochen werden und wir schieben uns die Nudeln durch das kleine offen gelassene Loch in der Kapuze. Die Umgebung ist traumhaft, doch die Nacht unerträglich. Es ist stickig im Zelt und wir können nicht lüften. „Natur ist immer so lange schön, bis man mit ihr tatsächlich in Kontakt kommt“, beschreibt Chris die Situation. Was den Kontakt mit Mücken ankommt ist er wahrlich traumatisiert. Als Kind reagierte er allergisch auf Insektenstiche, war auch schon einmal im Krankenhaus wegen zu vieler entzündeter Stiche. „Manchmal bin ich morgens aufgewacht, ohne mich im Spiegel wiederzuerkennen, weil mein Gesicht schmerzend geschwollen war. So reißt mich das Surren der Mücken immer noch aus dem Schlaf. Obwohl die Allergie zum Glück deutlich zurück gegangen ist.“ Als der nächste Tag anbricht freuen wir uns unbeschadet aufzuwachen. Wir bekommen von einem Bauern zwei ganze Sonnenblumenblüten geschenkt. Obwohl sie tatsächlich auch frisch sehr lecker sind schenken wir sie direkt weiter. Wir wissen nicht, wie wir sie transportieren sollen und können nicht jeder eine Sonnenblume frühstücken.
Wir wollen schwimmen, im Land des Wassers. Auf dem Weg zum Sewansee finden wir teilweise geplant teilweise zufällig sogenannte „Lost Places“. Und auch wenn es mittlerweile einen großen Trend gibt diese zu besuchen, wirken sie auf mich auch immer traurig und teilweise unheimlich. Das Merkwürdigste ist, dass direkt daneben meistens neu gebaut wird.
Am Sewansee wissen wir teilweise nicht, ob es sich um ein verlassenes Gebäude handelt und wir einfach unser Zelt aufschlagen können oder ob die Hotelanlagen und Häuser nur gerade nicht besucht sind. Wie bekommen dann von einer Dame, die hier die Aufsicht führt einen Platz unter Bäumen zugewiesen. Unter denen wir in der Nacht ganz schön zittern, weil ein gewaltiges Gewitter über uns herzieht. Immer wenn eine neue Gewitterwolke über uns hinweg zieht springen wir unter eine der Picknickhütten. Die ist wohl der sicherere Platz, als unser Zelt am Waldrand. Vier Mal machen wir das Spiel mit. Eine weitere Nacht mit wenig Schlaf. Die nächste Nacht verläuft deutlich entspannter auch weil wir während unseres Abendessens mit selbstgebrannten Cognac versorgt werden, der so stark ist, dass wir bereits nach einem Becher gut schlafen. Bleibt nur die Frage, ob wir auch unser Augenlicht behalten.
Zum Abschluss unseres Trips besuchen wir noch den Dilijan Nationalpark. Hier wandern wir zum ersten Mal so richtig mit unserem Gepäck. Obwohl wir schon einiges aussortiert und meinen Eltern in Griechenland, sowie meiner Freundin Pia in der Türkei mit in die Heimat gegeben haben, merken wir die Kilos auf unseren Rücken. Man vergisst doch immer, dass für ein paar Tage auch noch zusätzlich zum eigentlichen Gepäck ein paar Liter Wasser und ein paar Kilo Verpflegung hinzu kommen. Die Nacht verbringen wir neben einer Klosterruine, schaurig schön.
Auf dem Rückweg nach Tiflis werden wir 6 Stunden von einem älteren russischen Ehepaar mitgenommen, die uns nicht nur mit Feigen und Frikadellen Brötchen versorgen, sondern mit denen wir auch noch drei weitere Klöster besichtigen. Wir vermuten, die beiden haben uns für den Tag adoptiert und wir sind sehr dankbar für ihre Gastfreundschaft.
Die orthodoxe Kultur in Armenien ist allgegenwärtig, äußert sich aber besonders in den vielen Klöstern und Kirchen. Auffällig und wirklich kunstvoll, sind die Gedenktafeln, die aus Stein gehauen werden und sich neben jedem Gotteshaus befinden. Architektonisch erinnern uns die Gotteshäuser an Irland oder Schottland, sehen sie doch sehr keltisch aus. Dies wiederum passt perfekt in die etwas raue Berglandschaft.
Ansonsten fühlt sich Armenien für uns teilweise wie eine skurrile Mischung aus Russland mit einem starken orientalischen Einfluss an. Die Menschen sind freundlich, aber die schlechten Beziehungen zu den Nachbarländern werden immer wieder sichtbar und auch in Gesprächen deutlich. Wir lernen immer mehr zu schätzen, welches Privileg es ist, dass unsere Nachbarländer sich als große Gemeinschaft verstehen. Die Einschätzung einer unserer Gastgeber, dass Armenien in zwei max. drei Jahren auch der EU angehören und die gleichen Standards vorweisen wird, können wir uns nun nicht ganz vorstellen, aber wir erleben eine sehr positive Einstellung zur EU und sehen, dass vieles in Bewegung ist.
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