Gleiches Land, gleicher Geruch, gleiches Essen und doch ganz anders. Bei unserem zweiten Vietnam Aufenthalt kommen wir direkt an. Wir finden eine Familie auf Zeit und nutzen die 45 Tage unserer Visa vollständig aus.
„just two minutes“ - nur zwei Minuten, versuche ich den Busfahrer zu besänftigen, der schon mit seinem Mittagessen, dem Zweck dieser Pause fertig ist und jetzt nervös von einem aufs andere Bein tritt. Während die anderen speisen, ist Chris schnell in den Vinaphone Shop, den vietnamesischen Telecom Laden gesprungen, um unsere Sim-Karte zu reaktivieren. Ich halte derweil die Stellung und versuche nun unseren Busfahrer zu beruhigen. Vergessen konnte er uns eigentlich nicht, denn wir reisen in kleiner Runde. Mit uns sind nur noch zwei Laoten und ein Backpacker aus der Schweiz im Bus. Der Schweizer ist ordentlich demoliert, an seinen Schienbeinen, Ellenbogen und auch im Gesicht tummeln sich verschiedene Schürfwunden und blaue Flecken. Als er uns bei einer Pause erzählt, dass er einen Motorradunfall hatte und im nächsten Satz, dass man „die Dinger ja auf 200km/h hochziehen kann“ wundern wir uns nicht mehr.
Wir sind heute Morgen um 4 Uhr am Hostel in Pakse, Laos aufgebrochen und erreichen nach 8 Stunden Fahrt Hue, die alte Kaiserstadt Vietnams. Unsere Gastgeberin Bich ist noch nicht zuhause, aber wir dürfen trotzdem schon zu Ihr und werden herzlich von ihren Eltern in Empfang genommen. Mit Bich und ihren Gästen hat Ihr Schwiegervater Englisch gelernt und zeigt uns nun stolz seinen Garten in dem er bereits alles auf Englisch benennen kann. Ehe wir uns versehen sind auch der Nachbar und ein Onkel am Esstisch, um uns zu begrüßen. Wie gut, dass wir noch BeerLao als Willkommensgeschenk gekauft haben. Zwar waren zwei der vier Dosen eigentlich für unsere nächste Gastfamilie bestimmt, aber für die finden wir bestimmt noch etwas anderes.
„Seid Ihr schon mal gefahren?“ fragt Oi, der Schwiegervater und deutet auf den Motorroller.
„Ja, natürlich.“, antworten wir wahrheitsgemäß, dass wir Roller fahren erst in Vietnam gelernt haben müssen wir ja nicht unbedingt erwähnen. Zwei Minuten später sind wir mit Helmen ausgestattet und schwingen uns auf den Roller.
In der Stadt lernen wir Bich und ihren Verlobten kennen. Bich ist selbstständige Englisch Lehrerin. Sie wird für Nachhilfe- oder Privatunterricht gebucht. Und sie betreibt ein kleines Restaurant, einen Food Truck. Es ist eine vietnamesisch-amerikanische Fusion und auch uns spricht die Karte direkt an.
„Dann lasst uns doch Morgen zusammen hier essen?“, schlägt Bich vor.
„Ja natürlich“ antworten wir fröhlich. Und so sind wir um 22 Uhr nach ihrem Feierabend verabredet. Heute muss Bich leider selber einspringen, weshalb wir wieder zurückdüsen.
Auch am nächsten Morgen dürfen wir mit dem Familienroller düsen. Nach einer kurzen Unterredung mit Oi, ob er uns alleine fahren lassen kann, (Wir waren ihm gestern zu langsam unterwegs) geht es zu einem verlassenen Drachen. In den meisten Fällen, bin ich kein großer Fan von „Lost Places“. Chris dafür umso mehr. Aber von diesem bin auch ich angetan. Der alte Wasserpark liegt in Richtung Süden außerhalb der Stadt. Die Drohnenaufnahme geben das Ausmaß des Lost-Places erst wirklich wieder, da sich die Natur nach und nach die Landschaft zurückholt, ist das Ausmaß des Geländes von unten nicht zu erfassen.
Anschließend trinken wir erstmal einen Salty Kaffee, denn der ist schließlich hier erfunden worden und stand sowieso noch auf unserer Probier-Liste. Er ist tatsächlich sehr salzig, aber er schmeckt, auch wenn wir den süßen starken Kaffee mit der salzigen Schaumkrone eher als Dessert betiteln würden.
Ganz fein sind auch die Köstlichkeiten, die wir am Abend mit Bich zum Probieren bekommen: frische Muscheln, gegrilltes Steak, grüner Reis aus dem Bambusrohr und so allerhand mehr. Bich hat eine Auswahl ihrer Lieblingsgerichte getroffen und trifft dabei auch unseren Geschmack. Es ist Interessant sich über ihre Selbstständigkeit, das Zusammenwohnen bei den Schwiegereltern und das Leben im aufsteigenden Vietnam zu unterhalten.
Damit wir auch ihren Verlobten kennenlernen, der am Food Truck arbeitet, beschließen wir uns später noch zusammenzusetzen. Oi der Schwiegervater ist auch von der Partie und so sitzen wir noch lange in der kleinen Küche. Es gibt Bier und Snacks, denn das haben wir schon in Hanoi gelernt, Alkohol wird in Vietnam nur in Kombination mit Snacks konsumiert. Bich reicht mir ein Bananenblatt.
Ich packe es aus und beiße herzhaft in die sich darin befindende rosa Substanz:
„Was ist das?“
„Das ist rohes Schweinefleisch, das 3 Tage in die Sonne gelegt wird.“
Ich schaue sie mit aufgerissenen Augen an und versuche nicht völlig entgeistert zu gucken, bin mir aber nicht sicher, ob mir meine Gesichtszüge nicht doch entgleiten.
„Und ein bisschen Chili ist auch noch dran.“, ergänzt Bich schnell.
„Als würde das die Sache besser machen“, denke ich mir, sage aber nichts, sondern kippe zur Sicherheit lieber einen Schnaps hinterher.
Wasserbüffel, Kochkurse und eine Familie auf Zeit
Dass unser zweiter Vietnam Aufenthalt viel entspannter, authentischer und letztendlich deutlich glücklicher verläuft haben wir in erster Linie wohl den „Schwestern“ zu verdanken. Die eigentlich gar keine Schwestern, aber halt doch irgendwie Familie sind. Als wir sie darauf ansprechen, ob sie denn nun „wirkliche“ Schwestern oder FreundInnen sind, bekommen wir die in Vietnam allseits beliebte Floskel: „Same, same- but different“ zu hören.
Über einen Bekannten von einer Bekannten und davon die Freundin (wer kennt´s) haben wir einen Kontakt in Vietnam bekommen. Wir wollen endlich mal wieder länger irgendwo bleiben, wirklich in eine Kultur eintauchen, Menschen kennenlernen und nicht nur treffen.
Wir haben das Konzept noch nicht zu 100% verstanden oder welche Aufgaben auf uns zukommen. Aber sie betreiben wohl ein Gästehaus, es werden Kochkurse angeboten und sie bewirtschaften einen kleinen Garten. Das klingt erstmal sehr passend für uns. Da werden wir uns doch bestimmt irgendwo, vielleicht-hoffentlich im Garten einbringen können…, denken wir.
Aber „Pustekuchen“ an den Garten werden wir nicht dran gelassen, hier sind Profis gefragt. Stattdessen kümmern wir uns um den Online-Auftritt, also etwas ganz anderes als wir erwartet haben und trotzdem ist es eine schöne Aufgabe für uns. Ein Gästehaus ist es übrigens auch nicht. Am ehesten lässt es sich wohl als Restaurant mit touristischen Angeboten beschreiben.
Das Hauptgeschäft liegt bei den Kochkursen. Diese können dann durch weitere Aktivitäten ergänzt werden. Dazu gehören traditionelle Reispapier Gewinnung, traditionelles Gärtnern, Kräuterkunde, Fahrradtouren und Bambusboot fahren. Damit wir die unterschiedlichen Aktivitäten vorstellen können und natürlich auch für ansprechendes Fotomaterial, „müssen“ wir die Aktivitäten selber erleben. Es könnte Schlimmeres geben.
Unser größtes Highlight ist jedoch das tägliche gemeinsame Mittagessen. Zwischen 11 und 12 ist in der Regel großes Mittagessen. Typisch vietnamesisch gibt es reichlich Reis und dazu zahlreiche kleine Schüsseln mit Suppe, Gemüse, Fleisch und Fisch. Es gibt mehr oder weniger jeden Tag das gleiche, aber halt doch ganz anders – „Same, Same, but different“-halt. Alles wird in die Mitte des Tisches gestellt und jeder wird mit Essstäbchen und einer Schüssel für den Reis ausgestattet.
„Drei Schüsseln Reis sind für eine gesunde Entwicklung unerlässlich.“ klärt uns Kun, eine unsere Lieblingskollegin auf.
Wobei eigentlich alle unserer Kolleginnen Lieblingskolleginnen sind:
Unsere Chefin ist Chi Thung. Sie legt besonders viel Wert auf das Chi ein Vorsatz vor dem eigentlichen Namen, der Anerkennung und Respekt vor dem Älteren ausdrückt. Wenn dein Gegenüber jünger ist als Du wird Em verwendet. Auch deswegen wird in Vietnam ganz unverblümt über das Alter gesprochen. Während wir es aus Deutschland gewohnt sind, nicht direkt nach dem Alter zu fragen, ist es hier eine ganz normale Frage, die sogar notwendig ist, um seinen Gesprächspartner angemessen anzusprechen.
Beste Freundin von Em Kun ist Em Trang. Eigentlich immer ein Lächeln im Gesicht, hat sie auch eine nachdenkliche Art an sich. Mit den beiden unternehmen wir am meisten. Sie haben (noch) keine Kinder und deswegen abends mehr Zeit für Unternehmungen.
Dann gibt es noch Chi Xuan. Sie ist zwar eigentlich im selben Alter, wie wir, wirkt durch ihre Rolle/Stellung auf der Arbeit jedoch älter. Sie koordiniert, organisiert und packt an. Ohne Xuan fehlt jemand im Restaurant, das stellen wir immer wieder fest, wenn sie einen Kurs außerhalb des Restaurants gibt oder sie sich um ihren kleinen Sohn kümmert, der wie jedes Kleinkind auch mal krank ist.
Chi Home verstehen wir zwar nicht. Aber Liebe geht ja bekanntlich durch den Magen. Sie zeigt uns ihre Liebe mit tollen Gerichten und wir indem wir reichlich davon essen. So zaubern wir uns gegenseitig ein Lächeln ins Gesicht.
„Du hast aber einen großen Bauch“
„Iss doch noch etwas Ei oder den Fisch, die Krabben, das Gemüse oder das Fleisch. Das magst Du doch so gerne.“, sind die beiden Gegenpol zwischen denen wir uns bewegen.
Auch über die Figur wird ganz ungeniert gesprochen. Manchmal sind wir mit dieser direkten Art, die wir aus Deutschland doch zu vermissen schienen, überfordert. Manchmal finden wir sie hingegen wirklich gut. Allerdings haben wir noch nicht durchschaut, an welchen Stellen wir ganz direkt sein dürfen und wann lieber nicht.
Beim Essen müssen wir zum Glück gar nicht darüber nachdenken, da uns alles ausgezeichnet schmeckt und wir einfach immer direkt alles Lobpreisen können. Auf die Frage nach unserem Wunsch zum Abschlussessen können wir trotzdem direkt antworten - Cinnamon Pork - Zimtschwein. Wir langen nochmal ordentlich zu und liegen dann kugelrund mit einem dicken Bauch im Nachtbus nach Ho-Chi-Minh Stadt früher und noch heute im Sprachgebrauch üblich -Saigon.
„Brudi, ich muss los, wenn die Roller wieder schrei´n“ – Apache: Roller, 2019
Roller über, neben und untereinander. Was in Amsterdam die Fahrräder sind, sind in Saigon die Roller. Aber es ist ein sympathisches Chaos, an das man sich offensichtlich schnell anpassen kann. Sowohl unser Gastgeber rast durch die City, (Ich bin nur froh, dass ich zwischen ihm und Chris so eingequetscht bin, dass ich weder etwas sehen noch verrutschen kann), als auch unser Bekannter, der den Kontakt nach Hoi An herstellte und eigentlich aus Wesel kommt, hat sich schon verdammt, mir vielleicht etwas zu gut in den wahnsinnigen vietnamesischen Verkehr integriert.
Wir bekommen also gleich durch zwei „Locals“ einen Eindruck von Saigon und das ist vielleicht auch ein Grund, warum uns die wuselige Stadt überhaupt gefällt. Wir erkunden gemeinsam ihre jeweiligen Viertel, trinken Kaffee Saigon (eine Art vietnamesischer Latte) in ihren Lieblingscafés und essen Banh Xeo (vietnamesische Pfannkuchen) auf kleinen Plastikstühlen um die Ecke.
Ein Stopp in Vietnam liegt noch vor uns, aber wir sind nun bereits über einen Monat im Land, haben es von Nord nach Süd durchquert mit vielen unterschiedlichen Menschen gesprochen, Freundschaften geschlossen und wir finden es ist an der Zeit sich noch einmal intensiv mit der Geschichte des Landes auseinanderzusetzen.
Wir besuchen das Kriegsmuseum in Saigon. Die Ausstellung hat es in sich und wir brauchen danach erst einmal Ruhe, um alle Fotos, Eindrücke und Ausstellungsräume zu verarbeiten.
„Hast Du diese Verachtung im Blick des Soldaten gesehen?“, frage ich Chris, als wir bei einem süßen vietnamesischen Kaffee sitzen.
Und auch ihn haben die schwarz-weißen Aufnahmen der Kriegsreporter bewegt. Der Gesichtsausdruck in den Portraits bleibt hängen. Das weltberühmte Bild der Phan Thị Kim Phúc haben wir in der Schule auch schon gesehen, doch hier zu stehen, das Land gesehen zu haben und die Menschen zu kennen, ist ein ganz neues Gefühl. Vielleicht geht es auch beim Reisen darum, Verständnis und Empathie für einander zu schaffen.
Comments