Nach den vielen Behördengängen freuen wir uns auf Ruhe in den Bergen von Tuschetien. Nur den georgischen Brandy Chacha können wir einfach nicht abschütteln. Nachdem wir den berühmten und berüchtigten „Abanopass“ überlebt haben, finden wir neben beeindruckenden Bergen auch wahre Postkartenmotive. So abgelegen treffen wir nur auf „gleich-Verrückte“ und freuen uns über den Austausch unserer Abenteuergeschichten.
Nach diesem ersten Visa-Stress wollen wir den Kopf frei kriegen. Dafür könnte es keinen besseren Ort geben, als das abgelegene Tuschetien. Während also unsere Pässe von Donnerstag bis Montag in der chinesischen Botschaft liegen, reisen wir an den abgelegenen Zipfel im Nord-Osten Georgiens. Bereits am ersten Abend kriegen wir einen freien Kopf, aber weniger aufgrund von Ruhe, körperlicher Aktivität und wunderschönen Aussichten, sondern vielmehr durch den Chacha, vor dem wir uns wieder nicht entziehen können. Wir suchen ihn nicht, sondern der georgische Brandy, findet uns immer wieder. Er wird bei gefühlt jedem Zuhause herstellt. Literweise! Wenn man ihn nicht selber herstellt, dann hilft gerne ein/eine FreundIn aus. In Georgien muss niemand auf dem trockenen Sitzen und wir tun es ungewollt auch nicht. Wir hatten uns nach der Partymeile in Tiflis eigentlich auf Ruhe gefreut.
Als wir aber unser Zelt zum Sonnenuntergang am Fluss aufbauen, sichten uns zwei junge Georgen, die mit Bier im Fluss chillen. George und George (ungelogen hier heißen fast alle George/Georgi) versprechen uns gleich mit gutem Chacha wieder zukommen. Der Abend startet lustig, wird dann aber nach literweise Chacha schnell unangenehm für uns. Einer der Georges erzählt viele Geschichten vom Krieg, wie er verwundet wurde und wie stark er trotzdem noch immer sei. Er möchte immer wieder mit Chris ringen und versteht ein „nein“ einfach nicht und der andere George lässt einfach nicht locker uns überreden zu wollen, dass wir doch nicht in einem Zelt schlafen können, wir sollen doch besser auf seiner Couch übernachten. Ich schlafe aber schon im aufgebauten Zelt an dem die beiden jetzt anfangen zu rütteln, um mich wachzumachen. So muss Chris die beiden sturzbetrunkenen Georgis alleine abschütteln, eine unangenehme Situation, dessen Lösung sicherlich keine zu arge Konfrontation ist. Endlich lassen die beiden ab, fallen noch bei der hundertsten Verabschiedung ins Zelt und kurven dann nach wahnsinnigen 3 Liter Schnaps nach Hause.
Endlich im nun leicht verbogenen Zelt in den Schlaf gekommen werden wir kurz darauf vom Donner geweckt. Danach sah es heute wirklich nicht mehr aus. Auf dem nahezu freien Feld zieht der Sturm übers Land. Wir haben keine Leinen abgespannt und jetzt ist es zu spät dafür. Es wird das bisher heftigste Gewitter, das wir mitgemacht haben und wir haben echt Angst. Die dritte und letzte Gewitterzelle ist langsam vorüber, da erscheint ein Lichtkegel an der Zeltwand. In dem Unwetter ist einer der Georgis zurückgekommen „Ich habe Euch doch gesagt, es ist verrückt draußen zu schlafen“ schallt es durch das Prasseln des Regens. Recht hatte er ja. „Du bist noch viel verrückter und läufst hier durch das Gewitter über die Felder. Geh jetzt pennen, ich habe keinen Bock hier morgen einen gegrillten Chacha-marinierten Typen aus dem Matsch zu ziehen.“ Erwidert Chris mit ebenfalls „drölf“ Promille. Der Regen wechselt langsam von Weltuntergang auf „nur noch“ Monsunmodus. Jetzt alles abzubauen und raus in den Regen zu gehen macht einfach auch keinen Sinn. Wir halten den Rest aus und schicken Georgi erneut ins Bett. Am nächsten Morgen hängen wir noch berauscht und schlafentzogen vor unserem Zelt, da werden wir mit einem freudigen „It´s Chacha o´clock my friends“ geweckt. „Neeeeein!“
Tramperstrecke Abano Pass, eine der gefährlichsten Straßen der Welt
Einen Bergpass hoch zu trampen ist vielleicht eine erneut tollkühne Idee, zumal wir heute spät dran und schon wieder leicht beschwipst sind. Im Dorf meinten inkl. Georgi alle, dass es nicht funktionieren wird, da nur spezielle Offroad-Taxis die Strecke fahren können. Wir wollen es trotzdem versuchen, schließlich wird ein für uns immenser Betrag für den Transport aufgerufen. 40 Euro soll eine Fahrt pro Person kosten. Für uns eine große Summe in unserem Budgets, für die 7-8 Stunden zu erwartende Fahrt auf einer der gefährlichsten Straßen der Welt wohl doch noch ein fairer Kurs.
Im Zweifel steigen wir später doch in ein „Delica-Taxi“. Den Mini-Bulli „Delica“ haben wir vorher noch nie gesehen, dafür hier umso mehr. Er scheint wie gemacht für das Gelände und obendrein erschwinglich zu sein. Die Autos kommen gebraucht aus Japan und haben deswegen alle das Lenkrad auf der rechten Seite. Das scheint jedoch niemanden, außer mich als Beifahrerin bei wilden Überholmanövern, zu stören. Der Abano Pass, den wir befahren um in die abgelegene Region Tuschetien und in dessen Hauptort Omalo zu erreichen, ist eine schmale Schotterpiste die eher aus Löchern als aus Schotter besteht. Er schlängelt sich entlang steiler Berghänge in die Höhe. Teilweise in Serpentinen, in dessen Kurven wir befürchten umzukippen. Eine Seite Abhang, die andere Seite Felsmassiv. Dazwischen auf dem ausgespülten Weg quetschen sich Autos, Bullis und LKWs aneinander vorbei. In teilweise hastigen und teilweise endlos rangierenden Manövern kommt es schon mal vor, dass ein Reifen frei über der Klippe hängt. Die Abstände der Gedenktafeln verunglückter Menschen wir kürzer, je höher wir kommen. In Teilen ist der Weg schon abgerutscht. Steinschlag, zu passierende Bäche und Wasserfälle, Nebel und Sümpfe sind die vielfältigen Gefahren dieser Straße. Und dann ist da natürlich noch der Chacha. Eine absurde Tradition der Einheimischen ist es nämlich, an den Gedenktafeln zu halten und auf die Toten anzustoßen. Das schlägt sich bei lokalen FahrerInnen, die dieser Tradition nachgehen natürlich wiederum auf die Fahrsicherheit nieder. Eine unendliche Geschichte, denn es gibt viele Gedenktafeln, an denen die großen Schnapsflaschen lehnen und so werden es wohl immer mehr.
Es klappt ganz gut mit unserem Vorhaben zu trampen. Erst sitzen wir zwischen Hühnerfuttersäcken im Laderaum eines Mini-LKWs, dann nehmen uns immer wieder Bauarbeiter bis zum nächsten Baustellenabschnitt mit, die irgendwie versuchen, den Zustand der Straße zu verbessern. Doch dann stehen wir da und werden doch etwas unruhig. Normalerweise können wir einfach überall unser Zelt aufschlagen oder doch ein Notfall-Taxi/Bus nehmen. Ein Taxi haben wir schon über Stunden nicht mehr gesehen und die Straße ist zu steil und eng für ein Zelt. Wenn wir hier auf dem Weg übernachten, kommt niemand mehr durch. Andererseits kann uns dann auch kein Auto durch die Lappen gehen. Wir entscheiden uns noch ein Stück zu Fuß zu gehen, da uns an dieser Stelle unter der Felswand die Gefahr von Steinschlägen zu hoch ist. Eine Stunde später hören wir schotternde Reifen die Straße herauffahren. Und tatsächlich, umgeben von einer Staubwolke und sichtlich mitgenommen schlängelt sich ein Auto den Weg hinauf, bis es vor uns wild Winkenden zum Stehen kommt. Zwei andere junge Reisende sind auch spät dran. Misho und Ruso kommen aus Tiflis. Der schmale Misho steigt in Mountainbiker- und Motorcross Kleidung aus dem Auto aus und erklärt, dass er Bergführer ist. Er war schon öfter in Tuschetien. Für seine Freundin Ruso ist es ebenfalls der erste Besuch. Sie wollen ein Wochenende in den Bergen verbringen und wuchten unsere Rucksäcke in den Kofferraum des Autos.
Schon einige Kurven später wird es dunkel. „Perfekt abgepasst“ meint Misho und wir schauen ihn fragend an. „Es klingt, als wolltest Du weder die schöne Landschaft sehen, noch die schon bei Licht gefährliche Straße?“ erwidern wir. Er erklärt, wir hätten alle unseren Tag perfekt ausgenutzt: „Wir befinden uns ziemlich genau auf der Hälfte der Strecke. Die andere Hälfte wird man ja noch auf der Rückfahrt im Hellen sehen, wenn dann wiederum der Teil dunkel ist, den wir heute schon gesehen haben.“ Er freut sich. Nach 7 Stunden Autofahrt für 70km Strecke sehen wir endlich die ersten Lichter Omalos. Hier auf dem Plateau verliert sich die schmale Straße in unzähligen Spuren, die über die Bergwiesen zum Ort führen. Der direkte Weg zu den Lichtern führt uns jedoch in einen Schlickteppich und so fahren wir uns kurz vor dem Ziel fest. Die Wiese gleicht hier eher einem matschigen Acker. Dort wo die Grasnarbe reißt quilt Schlamm an die Oberfläche. Über das Gästehaus der beiden wird er lokale Dorfpolizist informiert. Der gut untersetzte Herr in Militärhose und Flipflops hat seine Schicht heute eigentlich schon hinter sich. Er ist zum Glück sehr hilfsbereit und sein Auto mit einer Winde ausgestatteten. Im dritten Anlauf zieht er uns heraus. Mishos Auto hat dabei jedoch die Schürze verloren und ist voller Schlamm, so wie wir. Dem Polizisten folgend erreichen wir Omalo spät am Abend. Die beiden checken in ihr Gästehaus ein und wir schlagen im Dunkeln unser Zelt auf.
Am nächsten Morgen im Licht, sehen wir erst einmal wo wir sind. Die Berge sind rau und ähnlich tannenbewachsen, wie die Alpen. Steinhäuser, Tiere und Geländewagen prägen das Bild. Die wenigen Häuser bilden das Dorf Omalo, was ein schöner Name oder? Rundherum Stille, fernab von Stadttrubel, Internet und Zeitstress. Wir sind angekommen. Alles was wir hier sehen, jedes Baumaterial und jeder Plastikstuhl muss irgendwann einmal den gleichen Weg passiert haben wie wir. Bei großen Wassertanks fragen wir uns, wie sie hier gelandet sind und bei kleinerem Schnickschnack teilweise, ob sich der Aufwand wohl gelohnt hat. Eins ist jedoch sicher, runter kommen die Gegenstände nie wieder, das beweist auch ein kleiner Landmaschinenfriedhof am Ortseingang.
Postkartenmotiv: Sonnenuntergang in Dartlo
Jetzt wird gewandert. Wir schultern unser Gepäck und marschieren los. 13 Kilometer wollen wir heute schaffen bis nach Dartlo. Das hört sich jetzt vielleicht erstmal nicht viel an, aber mit den schweren Rucksäcken in denen gerade auch noch einige Lebensmittel lagern, reicht uns das völlig aus. Es geht steil bergauf und durch Wälder wieder hinunter. Dartlo bietet uns eines der schönsten Postkartenmotive, das wir bisher gesehen haben. Die Steinhäuser mit ihren Wehrtürmen liegen in der Abendsonne am grünen Hang. Ein Bach schlängelt sich durch die Schlucht. Wir finden einen Zeltplatz am Fuße des Orts und können uns am Abend nach der sechsstündigen Wanderung noch waschen. Das Wasser aus den Bergen ist eiskalt, doch als der Schmerz in den Füßen überwunden ist, fühlen wir uns gut, sauber und erfrischt.
Am nächsten Morgen genießen wir ein deftiges georgisches Frühstück im nächstgelegenen Gästehaus. Chris hat einfach mal Hunger auf etwas „richtiges“ nach den vielen Tütensuppen, welche neben Weißbrot und Müsliriegeln unsere Hauptmahlzeit darstellen. Und ich bin erleichtert eine Mahlzeit vom mitgebrachten Essen „gespart“ zu haben, weil ich mal wieder in Sorge bin, dass wir nicht ausreichend dabeihaben. Chris belächelt diesen „Eichhörnchenzwang“ häufig zurecht, aber ich fühle mich einfach wohler mit etwas mehr Essen dabei. Wir haben früher auf Reisen immer viele Brote geschmiert, ob es bis ans Meer ging oder nur ins Freibad. Diese Familientradition haben wir meinen Großeltern zu verdanken, bei denen es immer Brote zum mitnehmen gab. Natürlich die besten der Welt. Wenn wir bei ihnen zu Besuch waren und nach Hause gefahren sind, hat sie uns sogar „Dubbels“ also Sandwichs für die Rückfahrt mitgegeben, obwohl wir nur 15 Min. mit dem Auto entfernt wohnten. Ich bereite also nach alter Familientradition auch immer ausreichend Brote für den Weg vor und abgelehnt hat Chris sie schließlich auch noch nie. Nach dem Frühstück wandern wir zurück nach Omalo. Eigentlich gibt es hier noch eine tolle Wanderrunde, die wir gerne gelaufen wären. Aber wir haben Misho und Ruso zufällig nochmal getroffen und sie haben angeboten uns mit zurück und direkt bis nach Tiflis zu nehmen. Da der Abano Pass tatsächlich nicht so „easy“ zu trampen ist, wir uns mit den beiden super verstanden und sicher gefühlt haben, entscheiden wir uns mit ihnen schon einen Tag früher zurück zu fahren.
Zurück in Omalo können wir uns noch etwas auf der Terrasse des Backpacker Hostels ausruhen. Wir dürfen duschen und bestellen uns ein kaltes Wasser mit Kohlensäure. Zuhause trinken wir, wie viele Deutsche fast nur Wasser mit Kohlensäure. In den meisten Ländern ist es aber etwas Besonderes und so wird dieses sonst Alltägliche, nicht nennenswerte Gut auch für uns zu etwas Besonderem. Außerdem treffen wir hier auf andere Reisende und der Austausch tut gut. Wir freuen uns über die tollen neuen Bekanntschaften, denn hier trifft man keine klassischen TagestouristInnen, nur gleich Verrückte. Bernadette & Pierre alias reisepotpourrie sind mit ihrem grünen Offroad-LKW-Wohnmobil aus der Wachau bis in den Oman gefahren und jetzt hier im Nirgendwo schon quasi auf dem Rückweg. Pierre beschreibt es auf den Punkt: „Man muss schon einen kleinen Vogel haben, um wie wir und ihr zu reisen.“ In dem Moment kommt passenderweise Hendrik alias butwhatsoutthere aus Berlin im Hostel an, der den Abano Pass mit seinem Fahrrad bezwungen hat. Dies ist natürlich nur mit leichtem Gepäck möglich, erklärt er grinsend und packt dazu einen Klappstuhl und zwei seiner vielen mitgenommenen Bücher aus. Die GeorgerInnen, die in der Regel mit dem Geländewagen direkt bis auf den Picknickplatz oder den Strand vorfahren um dort zu chillen schauen etwas verdutzt. Wie wir diese Momente lieben. Schön, dass wir uns hier gefunden haben.
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